Gerade im künstlerischen Bereich entstehen sehr häufig Konflikte. Künstler gehen ganz anders mit ihren Emotionen und Gefühlen um, als wir das aus anderen Bereichen unserer Gesellschaft kennen.
Nach einem Besuch auf der Frankfurter Buchmesse im Oktober (über die werde ich im Zusammenhang mit New Work nochmals gesondert schreiben), hatte ich am 18.10.2019 die Gelegenheit im coworking space CODEKS in Wuppertal die Einführung zu einem ungewöhnlichen Kunstprojekt zu halten.
Drei Künstlerinnen haben sich auf eine ungewöhnliche, künstlerische Abenteuerreise begeben.
Jede Künstlerin hat 30 Leinwände bemalt. Diese Bilder wurden dann an die nächste Kollegin weitergereicht, die das ursprüngliche Bild weiterbearbeitet, verfremdet und weiter entwickelt hat. Nach dieser Bearbeitungsphase wandert die Leinwand weiter zur nächsten Kollegin, bis die Arbeit zum Schluss wieder bei der Kollegin landet, die die Arbeit begonnen hat. Die Künstlerinnen haben dieses Projekt rotation 360° genannt.
In den verschiedenen Bearbeitungsphasen muss die jeweilige Künstlerin sich immer wieder neu auf die vorliegenden Leinwände einstellen, sie mit den eigenen künstlerischen Mitteln entwickeln, zurück gewinnen und auf den Punkt bringen.
Für viele Künstler ist dies eine sehr große Herausforderung. Zuzulassen, dass jemand anderes in die eigene Arbeit bestimmend und umdeutend eingreift, ist für viele nicht aushaltbar.
Nun bin ich kein Kunstkenner, ich liebe Kunst, aber das ist für mich etwas anderes, ich bin Mediator und finde dieses Projekt durch die Brille der Mediation so spannend.
Mediation ist ein strukturiertes Verfahren, welches sich mit der Lösung von Konflikten durch die Konfliktparteien selber beschäftigt. Als Mediator ist man ganz wesentlich für die Struktur des Verfahrens zuständig.
Mit Durchbrechung der üblichen Muster gelingt es sich in einen kreativen Prozess zu bringen, so dass etwas sehr Kreatives und Neues entsteht.
Meine Frage an die drei beteiligten Künstlerinnen war:
Wie waren denn die Absprachen zu dem Projekt?
Welche Gefühle ergeben sich, wenn „mein“ Bild weiterbearbeitet wird?
Wir gehen mittlerweile davon aus, dass jeder Mensch einen anderen Blick auf diese Welt hat. Dies bedeutet, dass jede der beteiligten Künstlerinnen einen anderen Blick auf das Bild hat, welches sie von der Vorgängerin erhalten hat.
Die Enttäuschung ist groß, wenn die Erwartung, die ich an die Weiterbearbeitung meines Bildes habe, nicht erfüllt wird.
Ist das in diesem Projekt anders? Die Absprache war doch von vornherein, dass die Kollegin das „eigene Bild“ verfremden oder im extremsten Fall durch die eigene Technik zerstören darf. Jede Künstlerin hat aber eine Erwartung, wie geht meine Kollegin mit meinem Bild um. Hat sie Respekt vor der Farbgestaltung, vor Motiv, vor der Perspektive?
Entscheidungen
Jede Künstlerin musste eine Entscheidung treffen, wie sie mit der Bildvorlage der Kollegin umgeht.
Entscheidungen können nur getroffen werden, wenn ich mich auf meine Emotionen und Gefühle einlasse. Aber gerade durch Entscheidungen, die auf der Basis von Emotionen getroffen werden, entstehen auch Konflikte.
Die aus den eigenen Erwartungen sich ergebenden Enttäuschungen haben bei den drei Kolleginnen zu Konflikten geführt.
Alleine die unterschiedliche Ansicht oder Meinung sind noch kein Konflikt. Erst wenn diese andere Sichtweise oder Meinung nicht anerkannt wird, sondern die Zustimmung zur anderen Ansicht gefordert wird, entsteht ein Konflikt.
In einem Konflikt wird um Entscheidungen gerungen. Das Konfliktsystem oszilliert auf der Suche nach einer Entscheidung. Der Konflikt hat die Tendenz zur Höherentwicklung.
Ein Konflikt braucht eine Entscheidung. Dies spiegelt sich letztendlich in der Entwicklung der rotation 360° bis zum fertigen Werk wieder.
Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile
Bereits Aristoteles sagte: Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile.
Auch in diesem Kunstprojekt gilt die scheinbar unlogische Formel
1 + 1 = 3
Die Ansicht Aristoteles ist vielfach noch gar nicht angekommen. Das mag daran liegen, dass das Summieren der Einzelteile bzw. das Aneinanderreihen der Arbeitsschritte mit Blick auf das Endergebnis für den menschlichen Geist nicht ganz einfach ist Gerade dieses Kunstprojekt rotation 360° hat auf mich die Wirkung einer Mediation: Durch den festen Rahmen des Bildes konnten die am Konflikt beteiligten Künstlerinnen um eine gute tragfähige Entscheidung ringen, die durch das fertige Werk dokumentiert wird. Ähnlich wie bei einer Mediation, die durch eine von allen getragene Abschlussvereinbarung beendet wird, ist es auch hier gelungen eine gemeinsame Win-Win-Lösung zu erarbeiten. Gerade rotation 360° ist für mich eine Methode, um das Ergebnis einer Mediation sichtbar zu machen.
Danke ihr Drei, dass ich euch bei diesem Projekt begleiten durfte.
Herzliche Grüße
dein Egbert Schuwardt
Mediator und Berater