„Schuwardt, wir müssen reden!“
Ich bin gerade aus Rathenow zurück. Rathenow liegt im Havelland. Die Familie meines Vaters stammt von dort. (Beim Schreiben merke ich gerade, dass „STAMMEN“ auch etwas mit Wurzeln zu tun hat.). Dort bin ich verwurzelt, dort bin ich geerdet.
Der örtliche Heimatverein hat eine Ausstellung über die Ziegelindustrie in Rathenow eröffnet. Schuwardts hatten selbst eine Ziegelei, Nordend. Gelegen am Rande der Stadt, direkt an der Havel. Allerdings musste mein Ur-Großvater bereits 1913 aufgeben, weil die Produktion wegen mangelndem Ton immer unwirtschaftlicher wurde. Obwohl er einen Dampfer angeschafft hatte, war es nicht möglich, wirtschaftlich zu produzieren.
In einem Film wurde in der Ausstellung gezeigt, wie die Ziegler (so werden die Ziegelmeister genannt) aus Ton und Wasser mit einer einfachen Hacke Ziegel geformt haben, die anschließend gebrannt werden. Die Bearbeitung des Tons oder Lehms zu Roh-Ziegeln scheint mir eine sehr erdende Tätigkeit zu sein. Auch wenn sie körperlich anstrengend war, so konnte man mit den eigenen Händen etwas aus der Erde formen.
Interessant finde ich auch die Rolle der Frau in unserer Familie – meine Ur-Ur-Großmutter hatte nach dem Tod ihres Mannes, bevor mein Ur-Großvater die Ziegelei übernommen hatte, die Baugenehmigung für einen sogenannten Ringofen gestellt. Das war am Ende des 19. Jahrhunderts. Zu einer Zeit, in der die Frauen noch gar keine Rolle in der Gesellschaft spielten. Das Besondere an diesem Ringofen war, dass nicht die Ziegel im Ofen bewegt werden, sondern dass das Feuer sich ringförmig über die Ziegel legte und diese brannte.
Das Interessante an dieser Geschichte finde ich, dass eine Frau nach dem Tod ihres Mannes die Ziegelei weitergeführt hat. Dabei ist es doch noch gar nicht so lange her, dass Frauen erst noch ihren Mann fragen mussten, ob sie arbeiten dürfen.
Aber zurück zu meinem Thema. Ich habe an diesem Wochenende gemerkt, wo meine Wurzeln sind. Erst heute habe ich einen Beitrag von Pater Anselm Grün gelesen, der überschrieben ist mit: „Die eigenen Wurzeln entdecken“. So schreibt er, dass wir ab dem 1. November keine Wurzeln mehr ausgraben dürfen, denn sie sollen jetzt ihre heilende Kraft aus der Erde ziehen. Diese Symbiose WURZEL und ERDE passen so wunderbar zu meiner eigenen Vergangenheit. Frage dich auch, wie weit deine Wurzeln zurückreichen, wie verästelt sind diese? Frage mal in deiner Familie nach Familiengeschichten!
Je fester und gesünder deine Wurzeln sind, desto besser kann ein Baum – dein Lebensbaum wachsen. Es hat sich herausgestellt, dass es zu kurz gedacht ist, dass lediglich deine Eltern eine Rolle in deinem Leben spielen, nein, auch deine Wurzeln, dein Stammbaum ist mit unter für dein heutiges Leben prägend.
Meine Wurzeln und meine Erde finden sich im Havelland wieder. Ich fühle mich zu Hause, wenn ich die Havel und deren Seen sehe. Da sind meine Wurzeln, da ist meine (2.) Heimat.
Anlässlich der Ausstellungseröffnung hatte ich mit einem ehemaligen Arzt gesprochen, der mir erzählte, wie wichtig die eigenen Wurzeln für das eigene Dasein und Leben seien.
Eine asiatische Weisheit beschreibt die Verwurzelung wie folgt:
Zu verwurzeln bedeutet, sein Wesen von einer sicheren, haltgebenden Basis auszurichten und sich damit die Möglichkeit zu schaffen, seinem Herzen zuzuhören und ihm zu folgen.
Das Bild der Wurzeln erinnert mich an einen Bambus, der seine Wurzeln in alle Himmelsrichtungen streckt und weit verwurzelt ist. Wenn ich auch die entfernten Wurzeln spüre und kenne, so kann ich auch immer mehr über mich selbst erfahren; über meine Glaubenssätze; über meine Eigenheiten und Charakterzüge. Wenn ich nicht weiß, woher ich komme, wie soll ich dann wissen, wohin mein Weg mich führt.
Zurück zur Ziegelei: Es handelt sich bei der Herstellung von Ziegeln um einen sehr erdigen Beruf. Der Ton (wenn er rot ist, ist er eisenhaltig) wird vor dem Brennvorgang gewässert, damit man den Ton in Formen geben kann. Die Rohlinge werden im Ringofen gestapelt und das Feuer wandert über die Ziegel hinweg und brennt sie zu einem festen Baumaterial. Wie mutig von meiner Ur-Ur-Grußmutter ein solches technisches Meisterwerk errichten zu lassen. Was nehme ich von diesem Mut mit in mein Leben? Welche Ressource kann ich von dieser mutigen Frau nutzen?
Also, ab dem 1. November keine Wurzeln mehr kappen und ausgraben und Kraft für den Winter tanken.
Dein Egbert Schuwardt
Mediator | Coach | Berater