Was bedeutet Zeit? Ich sitze gerade in meiner Küche und höre die Küchenuhr ticken. Ina ist gerade auf dem Heimweg und ich habe Zeit zu schreiben.

Zeit ist etwas, was der Mensch geschaffen hat. Die tickende Uhr gibt mir den Takt vor. Lebe ich nur so vor mich hin, so bedeutet mir die Zeit rein gar nichts. Selbst wenn ich Zeit habe, so kann sie wie im Fluge vergehen.

Was eben noch Gegenwart ist, ist im nächsten Moment bereits Zukunft. Seit dem Industriezeitalter wird die Uhr zum Zeitmesser. Das isst eigentlich noch gar nicht so lange her.

Mit Einführung der Eisenbahn in England hat man sich auf eine einheitliche Zeit geeinigt. Wahrscheinlich wurde sie eher von oben angeordnet. Das ist das, was ich als fremdbestimmt finde und meine Freiheitsrechte sehr stark einschränkt. Das stört mich ganz massiv.

Heute Morgen bin ich entspannt nach meinem Geburtstag den ich auf dem Rennrad verbracht habe mit Ina ins Büro gekommen um das abzuarbeiten was wir uns heute vorgenommen haben. Mein Handy klingelte und Wolfgang, ein guter Mandant war am Telefon und fragte mich zu den Beschlüssen der Koalition zu den Corona Hilfen. Dies war kurz vor 8 Uhr und damit war mein Tag gelaufen. Die Planung, die ich mir mit Ina so gegen 7.30 Uhr noch für heute vorgenommen hatte war um 8 Uhr über den Haufen geworfen. Natürlich hatte ich mich an meinem Geburtstag nicht mehr mit den aktuellen Themen befasst. Schon gar nicht haben wir uns heute Morgen beim Frühstück mit den Koalitionsbeschlüssen befasst. Ina eröffnet zum 1.7.2020 ihre eigene Kanzlei. Ich war damit beschäftigt mit Christopher das Strategietreffen für unsere Kanzlei – natürlich auch für mein künftiges Leben vorzubereiten. Das Treffen soll ja bereits in 3 Wochen stattfinden und es gibt viele Überlegungen.

Und dann plötzlich das: Die Umsatzsteuer wird ab 1.7.2020 von 19% auf 16% und von 7% auf 5% gesenkt. Mein Kopf fängt an zu kreisen. An 16% Umsatzsteuer kann ich mich noch erinnern. Aber 5% für Lebensmittel? Wann gab es das denn mal. Ja, man muss weit zurückgehen: vom 1.1.1968 bis zum 30.6.1968. Vielleicht haben die Verhandler auch bei diesem Zeitfenster gedacht, was man 1968 konnte kann man auch 2020. Ein halbes Jahr mal eben die Steuer senken.

Warum erzähle ich das eigentlich im Zusammenhang mit der Zeit? Mit diesen Beschlüssen wurde mir meine Zeit gestohlen. Ich wurde heute getrieben von Mandanten, von den eigenen Überlegungen. Was musst du jetzt bis zum 30.6.2020 noch alles machen? Also habe ich eine Mindmap angelegt, um meine Gedanken zu strukturieren, um meine Wut zu kanalisieren, dass man in Berlin etwas beschlossen hat. Mich hat besonders wütend gemacht, dass man mir MEINE ZEIT genommen hat. Ich fühle mich an die Arbeiter der industriellen Revolution erinnert. Sie haben nicht nur die Maschinen in den Fabriken zerschlagen, sondern auch die Uhren. Die eigene Zeit wurde mir genommen.

Trotz allem Krisenmanagement wünsche ich mir manchmal ein wenig LANGEWEILE. Die Begegnung mit dem Zeitvergehen. Das ist LANGEWEILE. Je mehr ich auf das Ticken der Küchenuhr achte, desto langweiliger wird mir. Es gibt keinen Unterschied mehr zwischen der Wahrnehmung der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft. Zeit erfahren wir – so Arthur Schopenhauer – gerade in der LANGEWEILE, nicht aber in der Kurzweile. LANGEWEILE tritt immer dann auf, wenn ich auf Grund der Leere des Inhalts einer Zeitspanne auf das Vergehen der Zeit selber aufmerksam werde.

Achte mal darauf, ob dir wirklich LANGWEILIG ist. Eigentlich geschieht immer etwas, und wenn es die Küchenuhr ist, die tickt.

In diesem Sinne: lerne zu akzeptieren, dass es eine ereignislose Zeit nicht gibt.

Dein Egbert Schuwardt

Mediator und Coach

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