„Heute Kinder wird’s was geben“. Als Kinder haben wir mit verklärtem Blick die Eltern gefragt, wie der Weihnachtsmann das macht, gleichzeitig bei allen Kindern die Geschenke abzuliefern. Die Eltern haben uns lange in dem Glauben gelassen und irgendwie wollten wir es auch nicht wahrhaben, dass es den Weihnachtsmann gar nicht gibt.
Und dann kam sie, die Stunde der Wahrheit. Was heißt das eigentlich: Wahrheit? Gibt es zwischen Wahrheit und Wirklichkeit einen Unterschied?
Mir geht es häufig so, dass ich mir (von außen betrachtet) als Idiot vorkomme, wenn ich die Wahrheit sage. Ich bin jedoch (von innen betrachtet) glücklich, weil ich die Wahrheit spreche.
Laut Wikipedia wird die Übereinstimmung von Aussagen mit einem Sachverhalt im Sinne einer korrekten Wiedergabe als Wahrheit bezeichnet. Unter Wahrheit verstehen wir auch, dass etwas richtig sei. Nur, was ist denn richtig oder falsch? Gibt es die Wahrheit nicht nur im wissenschaftlichen Bereich? Wir können uns Excel-Tabellen basteln, die weiter rechnen, wenn eine Aussage wahr ist. Z. B. ist die eine Zahl größer als die andere, dann rechne wie folgt weiter. In Naturwissenschaften wird die Wahrheit mittels Messen oder Wiegen angestrebt.
Wahre Werte sind jedoch nach meiner festen Überzeugung sehr subjektiv. Meine Wahrheit ist sehr häufig von meinem eigenen Weltbild oder meiner Weltanschauung geprägt. Wenn ich selbst von Wahrheit spreche, sagt dann nicht automatisch aus meiner Sicht mein Gegenüber die Unwahrheit? Mache ich mein Gegenüber dann nicht indirekt zum Lügner? Wenn also etwas für mich richtig ist – wahr ist – ist es für den anderen nicht automatisch wahr und richtig.
Jeder schaut doch irgendwie anders auf diese Welt und hat dadurch ein anderes Wahrheitsempfinden. Wir suchen die EINE Wahrheit und werden diese niemals finden.
Wenn man sich diesen Wahrheitsgedanken verdeutlicht und damit auch die Wahrheit des Andersdenkenden akzeptiert, kann es Frieden in dieser Welt geben. Häufig genug bin ich allerdings geneigt, meinen Gesprächspartner von meiner Wahrheit zu überzeugen. Reinhard K. Sprenger sagt sogar, dass der Feind der Wahrheit nicht der Lügner ist. Der Feind der Wahrheit ist eine Überzeugung, die blind ist für die andere Seite.
Recht haben und auf seinem Recht beharren gefällt mir in diesem Zusammenhang.
Menschen, die so von ihrer Wahrheit überzeugt sind, sind in Wahrheit sehr allein. Ein pa de deux ist kaum möglich, geschweige denn ein Tango. Kannst du dir vorstellen, dass dann ein Gespräch ergebnisoffen sein kann? Kennst du das Ergebnis des Gesprächs nicht bereits, wenn du ein Verfechter deiner (alleinigen) Wahrheit bist?
Nicht um RICHTIG oder FALSCH geht es, sondern um Wahrhaftigkeit. Wahrhaftigkeit bedeutet, dass auszudrücken, was ich als wahr erkannt habe und von dem ich überzeugt bin; aber so tolerant zu sein und die Meinung des anderen als SEINE Wahrheit zu akzeptieren.
Im Konflikt sollten wir deswegen nicht um die (eigene) Wahrheit streiten, sondern um die Wahrhaftigkeit.
Es geht nicht um RICHTIG oder FALSCH, sondern um das eigene Erleben, den eigenen Blick auf diese Weihnachtszeit 2020.
In diesem Sinne wünsche ich dir ein beschauliches Weihnachtsfest.
Dein Egbert Schuwardt
Mediator und Coach