„Schuwardt, wir müssen reden!“

Mir ist wieder einmal ein schönes Kinderbuch in die Hände gefallen. Getreu dem Motto: „Kindermund tut Wahrheit kund!“

„So war das! Nein, so! Nein, So! von Kathrin Schärer.

„So war das!“ Sagte der Dachs. „Ich habe mit meinem Freund, dem Bären einen riesigen Turm gebaut. Dann ist der Fuchs gekommen und hat den Turm kaputtgemacht. Der Fuchs hat mich gebissen und mein Freund Bär hat mir geholfen.“

„Nein, das war so“, sagte der Fuchs. „Dachs und Bär haben einen ziemlich schiefen Turm gebaut und weil ich ein guter Turmbauer bin, wollte ich ihnen zeigen, wie das geht. Aber plötzlich ist der Turm zusammengekracht.“

Und der Bär hat das natürlich wieder anders gesehen. Aber das ist eine andere Geschichte.

Was will ich dir mit diesem Märchen erzählen?

Auch wenn es ein wenig wissenschaftlich wird, so kennen wir doch solche Situationen selbst genug. Bevor die Verarbeitung von Informationen durch unsere Sinneszellen erfolgt, müssen wir die Informationen durch unsere Sinne (Hören, Sehen, Riechen, Schmecken und Fühlen) erst mal decodieren und in uns aufnehmen.

Provokativ gesprochen stellt sich die Frage, ob unsere Sinneszellen überhaupt in der Lage sind, das, was da „draußen“ ist, „drinnen“ abzubilden. Bin ich überhaupt in der Lage, die Umwelt, die mich umgibt, so wie sie wirklich ist wahrzunehmen?

Wir kennen dieses Phänomen doch auch:

Ich stehe z. B. vor einer Kirche und nehme ein Bild von dieser Kirche und ihrer Umgebung in mir auf. Nach meiner (festen) Meinung steht rechts neben der Kirche ein großer Baum und vor der Kirche steht ein Brunnen. Ich habe die Kirche mit einem Zwiebelturm wahrgenommen (die Kirche stand ja schließlich in Bayern).

Wenn du vor der gleichen Kirche stehst und das Bild anschließend in dein Gedächtnis rufst, hat die Kirche einen spitzen Turm (du kommst ja aus dem Rheinland) und links von der Kirche steht der Baum. Den Brunnen hast du gar nicht bemerkt.

Wir können uns jetzt trefflich streiten, wie das Bild denn wirklich war. Dass wir unterschiedliche Uhrzeiten auf der Kirchturmuhr gesehen haben scheint uns auf den ersten Blick klar zu sein.

Woran liegt das nun, dass wir das gleiche Motiv so unterschiedlich interpretieren?

Wissenschaftler gehen davon aus, dass Lebenserfahrung und Lebensumstände uns prägen.

Beispiel: Ist meine Mutter mit mir an der Hand auf die andere Straßenseite gewechselt, weil uns ein Hundebesitzer mit einem Hund an der Leine entgegenkam, so ist mir die Angst vor Hunden sehr früh schon deutlich gemacht worden.

Eine andere Forschungsrichtung um Paul Watzlawick, der dem Buch „Wie wirklich ist die Wirklichkeit“ schon deutlich macht, was wir von DER WIRKLICHKEIT halten können. Die Kernaussage dieser Forscher gefällt mir am besten: „Jeder Mensch konstruiert sich sein eigenes Bild von der Wirklichkeit.“ Diese Forschungsrichtung wird deswegen auch Konstruktivismus genannt.

„Die Umwelt, so wie wir sie wahrnehmen, ist unsere Erfindung.“

Diese Aussage möchte ich dir als Mediator ein wenig einsortieren. Lass mich das mal auf das Beispiel von der Kirche übertragen:

  • unbestritten ist, dass es eine Kirche mit einem Turm gibt,
  • unbestritten ist, dass du und ich diese Kirche und das Umfeld gesehen haben und wir ein Bild in uns gespeichert haben,
  • unbestritten ist auch, dass dein Bild und mein Bild nicht der Wirklichkeit entsprechen,
  • es ist höchst unwahrscheinlich, dass sich dein Bild und mein Bild decken.

Wenn wir beide akzeptieren, dass wir miteinander über die Kirche sprechen und akzeptieren, dass wir sie unterschiedlich wahrnehmen und unsere (jeweilige) Konstruktion nicht mit der Wirklichkeit zu tun hat, dann ist doch alles in Ordnung. Zum Konflikt kann es doch nur kommen, wenn ich dich überzeugen will, dass mein Konstrukt der Wirklichkeit entspricht.

Mit anderen Worten entstehen Konflikte, wenn ich behaupte, dass meine Konstruktion von der Wirklichkeit die Wirklichkeit sei.

Und mal ehrlich, wie einfach ist er den Konflikt zu lösen in dem wir beide wissen, dass jeder seine eigene Wirklichkeit konstruiert hat und wir die Wirklichkeit unterschiedlich wahrnehmen.

In diesem Sinne schaue ich jetzt aus dem Küchenfenster über Wuppertal und mache mir mein eigenes Bild von der Wirklichkeit.

Herzlichst,

dein Egbert Schuwardt
Mediator | Coach | Berater

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