„Schuwardt, wir müssen reden!“
Am Freitag in Salzburg kam mir Rhena mit den Worten zum Frühstück entgegen: „Schuwardt, wir müssen reden!“ Sie lachte herzhaft und ansteckend. Mir tat es gut, obwohl Ina und ich schon am Freitag von der Gersbergalm Abschied nehmen mussten. Mussten? Nein, wir freuten uns auf etwas ganz Besonderes. Auf einen besonderen Menschen. Langsam sickerte durch, dass wir unser Jahrestreffen in Salzburg frühzeitig verlassen werden. Ein besonderer Mann hat am 02.10.2021 Geburtstag. Mein Vater feiert seinen 100. Geburtstag. Was hat er alles erlebt:
Für mich – aber auch für andere – war er einer der besten Steuerberater. Ich wollte ihm nacheifern. Besser als er? Das war ein kläglicher Versuch. Selbst wenn ich am 02.10.1990 in der schriftlichen Steuerberaterprüfung saß, reichte ich an sein Wissen nie heran. Ja, ich war zwar jünger als mein Vater, als ich Steuerberater wurde, aber ich schaue immer noch mit Stolz auf seine Lebenserinnerungen mit Schriftstücken vom Bundesfinanzhof aus München. Es war auch nicht immer einfach, wenn man einen Vater hat, der nicht nur besser, sondern auch hervorragend war.
Sehr früh musste sich mein Vater um vieles kümmern. So erzählte er mir noch vorhin, dass er mit seinem Opa in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts zum „Stempeln“ gehen musste.
Später als 16-Jähriger wollte mein Vater zum Zoll. Kapitän auf einem Zollschiff war sein Traum. Das Verzollen eines Transistorradios stellte sich dann als so schwierig heraus, dass er sich dem Steuerrecht in der Finanzverwaltung gewidmet hat. Steuern wurden seine Leidenschaft.
1956 dann die entscheidende Wende in seinem Leben, als mein Vater sein geliebtes Havelland verließ und ins Bergische Land nach Wuppertal zog.
Was lag denn nun zwischen der Ausbildung und dem Wegzug in den Westen? Wenn ich meinen Vater so höre eine sehr gute Zeit. Trotz Krieg und französischer Gefangenschaft in Marokko. Mein Vater konnte auf die ihm eigene Art das Positive in dieser Zeit sehen. Heute machen wir langandauernde Selbstentwicklungskurse mit, um das Positive im Leben zu sehen.
Er hat die Sonne in Marokko genossen und hat das Gefangenenlager zur Perfektionierung seiner Französisch-Kenntnisse genutzt. Bis ins hohe Alter war mein Vater in einem Französisch-Kurs.
Aus der Gefangenschaft entlassen war er erst einmal an verschiedenen Finanzämtern in der DDR tätig, bis es ihm zu militärisch wurde.
Kurz nach der Übersiedlung nach Wuppertal, lerne mein Vater seine große Liebe unsere Mutter kennen. Gelebt in einer christlichen Welt der Nächstenliebe war er immer für andere da gewesen.
Vor einiger Zeit hatte ich Gelegenheit in einer Bibliothek der Steuerberaterkammer nach alten Veröffentlichungen meines Vaters zu forschen. Ich konnte meinen Vater mit einem Mal in einem völlig anderen Licht sehen.
Heute fragt mein Vater mich, was ich denn so als Mediator mache. Streitschlichtung ist ein Bild aus seiner Werte-Welt.
„Der 100-Jährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand.“ Nein, das macht er nicht. Aber die Geburtstagspost wurde genau studiert und beantwortet.
Papa, ich danke dir, dass du mir ein Leben in Freiheit und Demokratie ermöglicht hast. Ich danke dir ferner, dass du mir im Sport und lebenslangem Lernen immer ein Vorbild warst und eine Orientierung gegeben hast.
Ich verneige mich vor dir und sage: „Danke!“
In diesem Sinne wünsche ich auch dir, der du das liest, ein erfülltes und langes Leben mit immer wieder neuen Erkenntnissen.
Dein Egbert Schuwardt
Mediator | Coach | Berater